gewittergrollen

Es ist stickig im dunklen, kleinen Haus neben der lärmenden Kreuzung. Und es ist einsam. Nichts bewegt sich. In der Ferne ein Grollen, dumpf und düster.
P. merkt das alles nicht. Es wäre ihm auch egal. Er sitzt an seinem Schreibtisch, starrt auf sein leeres E-Mail-Postfach. Niemand schreibt, nur der ganze (un)freiwillig abonnierte Newslettermüll füllt den virtuellen Papierkorb.

V hat gesagt: „Ist das jetzt offiziell?“
„Ist es.“
„Also seid ihr getrennt?“
„Ja.“

Außer V. aber scheint das Schicksal des P. niemanden zu interessieren. Es ist ein kalter Sommer, das Wetter ist den Meisten Problem genug.

Die Indifferenz hat ihren Grund, P. weiß das. Wenn du dich nicht um deine Freunde kümmerst, dann bist du ihnen irgendwann egal. Dann kannst du entweder versuchen, irgendwas Diffuses wieder gut zu machen, oder du kannst dir neue Freunde suchen. P. war noch nie gut im sich-Entschuldigen, aber Freunde-finden ist ihm stets noch deutlich schwerer gefallen.

„Es ist alles eitel“ heißt es bei Gryphius und P. weiß, dass er diesen Zustand längst überwunden hat; der März ist vom Juni viele Wochen entfernt, mag die Entfernung in Grad Celsius in diesem Jahr auch so gering sein wie selten zuvor. Unbeliebige Andere haben längst Zerstörung hinterlassen, und irgendwann wird über die Trümmer eine Weide gewachsen sein. Aber das kann nicht nur dauern, das dauert.

„Getrennt, aber noch zusammen in einem Bett schlafen. Es ist absurd.“
„Ja. Ich bin schon gespannt auf Mittwoch.“

P. hat die Absurdität des Lebens steht bewundernd betrachtet. Jetzt, wo sie ihn härter trifft, als er sich je hätte ausmalen können, hasst er sie. Es ist kaum auszuhalten. Immerhin ist sie noch nicht da.

Draußen donnert es, noch eine gefühlte Ewigkeit nach dem schwachen Blitz. Bald, irgendwann, plötzlich, wird sie wieder da sein, wahrscheinlich mitten im Gewitter, und ihm wird jeder Rückzugsort genommen sein.

Es ist nicht so, dass P. dem „gescheiterten Projekt“ groß nachtrauert. Es war eine Dummheit, es überhaupt zu versuchen, er wusste von Beginn an, dass dies nicht gut ausgeht. Aber als es ihm noch gut ging, war das „Projekt“ noch zu erfolgreich, um es für ein anderes in den Wind zu schießen. Überhaupt war er erfolgreich.

Jetzt schon, oder spätestens bald wird ihm der Weg zu neuen Projekten verwehrt sein. Die Erfolglosigkeit, der Gestank der Einsamkeit und die unübersehbaren, bitteren Male der Schwermut werden sich in seinem Bild abzeichnen und jegliche brauchbare Weiblichkeit auf Distanz halten. Das sogenannte „schwache Geschlecht“ kann nichts dafür, P. weiß, dass es um Nestbau geht, um Überlebenstrieb, um die Wahl eines geeigneten Partners dafür.

Die Haustür geht und draußen knallt es. P. sieht aus dem Fenster und lauscht auf die Wohnungstür. Kein Unfall, nur Donner. Nicht sie, nur Nachbar. Aufatmen.

Immer noch nichts. Der Bildschirm bleibt regungslos. Es gibt schlimmeres, denkt P. Zum Beispiel die Wahl der nächsten Stelle. Da wo er ist, wird er nicht bleiben. „Wird“, das ist das richtige Wort. Es geht nicht um „wollen“ oder „können“. Es ist ein Fakt. Der Brotgeber hat die übliche Übernahmequote erfüllt. Er ist nur noch Ballast, wertlos, müsste er nicht ohnehin bald das Schiff verlassen, man überlegte sich, wie man ihn über Bord würfe.

Es donnert jetzt alle 40 Sekunden. Das Gewitter ist da. Die Panik auch. Sie liegt wohl richtig, wenn sie sagt: „Bei deinen Noten keine Übernahme… Da fragen sich die Personaler doch: „Was stimmt mit dem nicht.“ Die darauffolgenden Phantasien werden seine kümmerlichen Versuche in Selbstvermarktung in die Ablage Z befördern.

P. starrt jetzt an die Wand. Eine Träne läuft ihm über die Wange und verfängt sich in seinen Bartstoppeln. Das Gewitter wird abebben. Die Tür wird gehen, und dann die Wohnungstür. Und P. wird wissen: Es geht hier nicht um irgendeinen Lebenslauf. Es geht hier ums Leben.

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